Nein, kein Tippfehler, liebe Leserin und lieber Leser. 240 ist richtig und nicht 250, auch wenn der Verlag selbst und die Medien uns ebenso unablässig wie unreflektiert weismachen wollen, dass das renommierte Haus 1770, im Geburtsjahr Beethovens also, gegründet worden sei. Gut – Bernhard Schott liebäugelte um dieses Jahr herum damit, sich als Notenstecher und/oder Musikalienhändler eine profitversprechende Basis für seinen künftigen Lebensunterhalt schaffen zu können, aber über die gesamten 1770er Jahre hinweg erschien nicht ein einziger Musikdruck, der auf ihn zurückginge, mit seinem Impressum versehen wäre und somit eine verlegerische Aktivität belegen würde. Das gelegentlich vorgebrachte Argument, dass derlei Zeugnisse die Zeiten durch unglückliche Zufälle nicht überdauert hätten, ist leicht zu widerlegen: Die Presse jener Jahre ist voll von Anzeigen neuer Musikalien, die sich alle zuordnen und identifizieren lassen – es findet sich jedoch nicht der leiseste Hinweis auf eine professionelle Musikalienproduktion in Mainz. Erst 1780, nach der Erteilung eines kurfürstlichen Privilegs für Schott, ging es los; dass der Verlag bis heute besteht, ist erstaunlich – kein Grund also, noch ein Jahrzehnt hinzuzuflunkern.
Dieser Tage berichtete Claus Kleber im heute journal (Sendung vom 30.06.20 ab Min. 28 oder Ausschnitt) einmal mehr über die Folgen der Corona-Epidemie und kam nach weit ausholender Einleitung auf das Musikverlagswesen zu sprechen, als dessen Repräsentanten er (oder die Redaktion) – durchaus verständlich – die ein paar Autominuten entfernt ansässige Firma Schott ausgewählt hatte. Natürlich blieb das beeindruckende Jubiläum (»ein Vierteljahrtausend«) nicht unerwähnt, ebenso der Verlagsautor Beethoven und die Tatsache, dass von Mainz aus »Notenblätter und Partituren« (ob dem Moderator klar war, was das, was er da mit Kennermiene vom Teleprompter ablas, eigentlich konkret bedeuten soll?) der großen Meister der Musik in die ganze Welt gehen. Manche werden gestaunt haben – im Blick auf Beethoven staunt man ja immer irgendwie und bei einem Vierteljahrtausend sowieso. Bei manchen wird aber auch der Eindruck zurückgeblieben sein – 240 oder 250 hin oder her –, dass andere Verlage, die Werke der Meister im Programm haben, gar nicht existieren. Kein Wort über Breitkopf & Härtel in Wiesbaden (die letztes Jahr ein allerdings gleichfalls etwas fragwürdiges Jubiläum begingen), kein Wort über Bärenreiter in Kassel (2023 gilt es, das Zehnteljahrtausend zu feiern, und da wird es keinen Widerspruch geben) und ebenso kein Wort über Henle in München, die in der Fachwelt ebenso bekannt sind – und die gegenwärtig in gleicher Weise mit dem Rücken zur Wand stehen wie das Mainzer Haus, dessen Chef, Dr. Peter Hanser-Strecker, dies in eindringlichen Worten (nachdem er zuvor dekorativ in seinem Lieblingsexemplar der Erstausgabe von Beethovens Neunter geblättert hatte – klar, das wurde vom ZDF-Team so inszeniert) verdeutlichte.
Vielleicht hätte man auf dem Weg zum Weihergarten, wo das schöne und repräsentative Verlagsanwesen seit vielen Jahren steht, einen Abstecher zur universitären Mainzer Musikwissenschaft machen sollen – liegt auf der Strecke. Da wäre sicherlich klar geworden, dass eine gewisse Ausgewogenheit in der Berichterstattung auch dem Sender auf dem Lerchenberg und gerade angesichts eines solchen nicht alltäglichen Themas gut zu Gesicht steht; möglicherweise hätte Herr Kleber dann einen Text vom Teleprompter ablesen können, bei dem die routinerte Kennermiene nicht fachlichen Unsinn übertünchen muss, und vielleicht hätte man auch eine passendere Musik für die Untermalung gefunden – ja, es war Beethoven, aber ein Werk, an dessen Publikation Schott keinen Anteil hatte.
Wie dem auch sei – wir wünschen dem Haus Schott alles Beste zum 240. Geburtstag und ihm sowie allen anderen Musikverlagen mit ihren vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine glückliche Hand in dieser unglückseligen Zeit.
Axel Beer