Oratorien am Hof zu Mainz

»Auf diesen Ruinen der St. Gangolphskirche, allgemeiner unter dem Titel der Schlosskapelle bekannt, predigen nicht allein die Steine das quanta Moguntia fuit, ista ruina docet [wie groß Mainz war, lehrt diese Ruine], sondern der Geist der besseren Vergangenheit haucht uns hier gleichsam aus einem Grabesflohr entgegen Fuimus Moguntini [Wir waren Mainzer]! Hier ahmten die alten Kurfürsten die Kirchenfeste der päpstlichen Kappelle nach, hier versammelte sich an jedem Sonntage die schöne Welt jener Zeit, hier erschollen die hohen Klang und Sangstücke der Messen und Oratorien, hier hoben uns die Genien von Graun und Händel, von Mozart und Pergolesi, von Kreusser und Sterckel in den Siebten Himmel der Verzückung. Und nun?«
Heinrich Cöntgen: Kommentar zu einem heute verschollenen Ölgemälde des Innenraums der Mainzer Hofkirche St. Gangolf (letztes Viertel 18. Jh.)


Der Begriff Oratorium bezeichnet eine dramatische, mehrteilige Vertonung einer geistlichen Handlung, die im Gegensatz zur Oper nicht szenisch dargeboten wird. Auch am kurfürstlichen Hof in Mainz wurden Oratorien aufgeführt. Sie erforderten einen großen Musikapparat.

Nachdem 1756 Johann Michael Schmidt als Kapellmeister am Mainzer Hof angestellt wurde, gelangte die Hof- und Kirchenmusik zu einer Blüte, die der Pracht des Hoflebens entsprach. Während der Fastenzeit wurde jede Woche ein großes Oratorium gegeben. Zu den Komponisten dieser Werke gehören Johann Michael Schmidt (1720–1792), Niccolò Piccinni (1728–1800), Georg Anton Kreusser (1746–1810) und Niccolò Jommelli (1714–1774). Zu fast allen Mainzer Oratorien hat sich jedoch nur das Textbuch erhalten. Lediglich vom Oratorium Der Tod Jesu von Georg Anton Kreusser wurde bei Schott 1783 eine Partitur gedruckt – vielleicht in Konkurrenz zum evangelischen Berliner Hof, für den Carl Heinrich Graun 1755 eine weit verbreitete Vertonung desselben Textes von Karl Wilhelm Ramler vorgelegt hatte?

Georg Anton Kreußer: Der Tod Jesu. Partitur, Mainz: Schott [1783]

Das Vorwort bietet interessante Aufschlüsse über Kreussers Kompositionsweise: »Über die Ausgabe selbst habe ich nichts zu sagen, als daß ich die Koräle wegliese und alles Fuggiren vermiede, theils um aller Ähnlichkeit mit der Graunschen Komposition auszuweichen, theils weil sich diese Musik Arten besser in die Kirchen schicken, als die Säle, wo doch die meisten Oratorien aufgeführt werden«.

Den Worten ist auch zu entnehmen, dass die Oratorien in Mainz offenbar vorwiegend im Schloss aufgeführt wurden. Ansonsten fand die kurfürstliche Kirchenmusik vor allem in der Hof und Stiftskirche St. Gangolf statt. Die Kirche wurde während der Belagerung von Mainz im Jahr 1793 durch Beschießung stark beschädigt und fiel später der französischen Stadtplanung im Bleichenviertel zum Opfer.

Die bischöfliche Kanzlei mit der St. Gangolfs Stiftskirche

Ob dieses Oratorium von Jommelli in Mainz erklang, wissen wir nicht. Es vermittelt aber den Eindruck einer typischen Oratorienkomposition der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wie sie auch am Kurmainzer Hof gepflegt wurden.

Niccolò Jommelli (1714–1774):
Il sacrificio di Abramo

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