175 Jahre dauerte ihr Dornröschenschlaf, jetzt wird sie endlich zu neuem Leben erweckt: Die Oper Gudrun des Darmstädter Hofmusikdirektors Carl Amand Mangold (1813–1889) erklingt erstmals wieder durch den Konzertchor Darmstadt und Gesangssolisten in einer halbszenischen Aufführung im Darmstadtium am 26. Mai 2024 um 17 Uhr.
Gudrun war 1850 ein zentraler Beitrag im Bestreben, endlich dauerhaft eine deutsche romantische Oper als Konkurrenz zu den ständigen Opernimporten aus Italien, aber auch Frankreich zu etablieren, die die Spielpläne der deutschen Hoftheater dominierten. Während Richard Wagner nach seinen politischen Aktivitäten im Exil in der Schweiz saß und – von der Welt verborgen – an seiner Nibelungen-Tetralogie arbeitete, die erst ein Vierteljahrhundert später in Bayreuth aus der Taufe gehoben wurde, war es der Darmstädter Carl Amand Mangold, Bruder des Hofkapellmeisters Wilhelm Mangold und in leitender Stellung am Hoftheater Darmstadt engagiert, der sich ebenfalls mit den nordischen Sagen des Mittelalters beschäftigte. Der Gudrun-Stoff entstammt der Edda-Sammlung, neben dem Nibelungenlied das zentrale mittelalterliche Epos der Germanen. Wie Wagner kümmerte sich auch Mangold selbst um seinen Librettotext, verlegte die Handlung des altdeutschen Heldenlieds allerdings nach England in die Zeit der normannischen Invasion. Das Handlungsgerüst ist schlicht und lässt sich leicht zusammenfassen: Die Tochter des angelsächsischen Königs wird heiraten, es gibt drei Bewerber. Einer der beiden Abgelehnten entführt sie daraufhin; nach gefahrvollen Situationen gelingt am Ende die Rettung und Befreiung durch den Erwählten. Dazwischen bleibt viel Raum für situationsbezogenen Chöre (Hochleben der Brautleute, Trinklied der Krieger, Gespielinnen Gudruns).
Mangold hatte vor Gudrun bereits andere Opern komponiert, er war bekannt für seine volkstümliche Musik. Auch an Gudrun schätzte die zeitgenössische Presse die melodische Schlichtheit. In ganz Deutschland berichteten die Musikzeitungen über die Darmstädter Uraufführung: Man war stolz auf die Realisierung eines germanischen Epos auf der Opernbühne.
Glücklicherweise ist das historische Aufführungsmaterial der damaligen Produktion am Darmstädter Hoftheater erhalten geblieben (eine große Ausnahme angesichts des fast vollständigen Verlusts der Theatermusikalien in der Darmstädter Brandnacht von 1944). In klarer und sauberer Handschrift notiert, dient es dem Orchester als Basis für die Wiederaufführung des Werks am 26. Mai 2024.
Vormittags um 11 Uhr findet im Staatsarchiv Darmstadt ein begleitender Workshop statt, der sich mit den Hintergründen des Musiklebens in Darmstadt zur Zeit Mangolds beschäftigt. Kurzbeiträge sind vorgesehen von Dr. Peter Engels, Stadtarchiv Darmstadt, Prof. Dr. Ursula Kramer, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, sowie Studierenden der Musikwissenschaft der Universität Mainz.